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Ostaijen und die Revolution – Der Hörer wird zum Revolutionär

- Bitte beachten Sie, dass in diesem Teil einiges von der Geschichte verraten wird! -

1919, im Alter von 23 Jahren zog der Flame Paul van Ostaijen nach Berlin - nicht ganz freiwillig. Er war als Jugendlicher aktives Mitglied einer separatistischen Bewegung, die die Trennung Belgiens in einen französischsprachigen und einen niederländischsprachigen Teil auch auf militantem Wege erreichen wollten und nach dem zweiten Weltkrieg floh er aus Belgien, um einer Haftstrafe wegen Teilnahme an einer verbotenen Demonstration zu entgehen.

Ostaijens Vorstellung von Revolution war äußerst naiv: Angeführt von ihren Dichtern, marschiert das Volk dem Sonnenaufgang entgegen, so beschreibt sie ein Ostaijen-Kenner. Aber im Berlin der Jahre '19 und '20 fanden Revolutionen ganz ohne Dichter statt, wie sich ihm zeigte. Es marschierte auch niemand dem Sonnenaufgang entgegen. Die Demonstranten wurden vielmehr von der Polizei niedergeschossen. Die Realität holte Ostaijens naive Begeisterung ein. Das spiegelt sich in seinem Drehbuch "Der PleiteJAZZ" wieder, das er zu dieser Zeit schrieb. Seine Dada-Jazz-Revolution endet vorerst im unerträglichen Zustand der Pleite.

Offensichtlich Zweifelte Ostaijen nicht nur am Ausgang von Revolutionen, sondern auch an seinen bisherigen politischen Zielen. Seine Biografen sprechen von einer tiefen Krise. Aber eigentlich ist es eine schöne Wendung, dass das Ziel seiner Revolutionäre im "PleiteJAZZ" nicht nationalistischer Eigennutz ist, sondern ein "schönes Leben", erfüllt von Tanz und finanziellem Überfluss Trotzdem scheitert auch diese Revolution und die Revolutionäre sind pleite. Als dann Carlie Chaplin als heiter-radikaler "Deus ex machina" auftaucht, scheint die Rettung da zu ein. Nur, wie Charlie das Ruder herumwirft, das sorgt für einen zumindest zweideutigen Ausgang der Geschichte. Was nun wirklich gewonnen hat, die Sorglosigkeit oder das Desaster, lässt sich nicht einfach beantworten. Vielleicht ist das Ende zwangsläufig offen, weil die Pole, die Ostaijen in seinem Drehbuch zu vereinigen wünscht, zu gegensätzlich sind? Vielleicht ist der ehemalige Separatist Idealist geblieben, wenn auch unter neuem Vorzeichen, und sieht keinen Widerspruch in der Verquickung von "Realität" und "heiler Welt"? Die neu erschaffene Welt im "PleiteJAZZ" bietet Stoff fürs Nachdenken.

Ostaijen hat sich, das können wir aus seinem Text ablesen, nicht von seiner Überzeugung verabschiedet, dass die revolutionäre Menschenmasse und die Kunst einander brauchen. Nach dem missglückten Ausgang der Dada-Jazz-Revolution offenbart "Charlie", eine Figur aus der (populären) Kunstwelt, der Masse eine Lösung, auf die sie ohne ihn nicht gekommen wäre. Eine Idee, die dann sogleich umgesetzt wird. Die Kunstfigur befreit das Volk, indem sie es auffordert, auch die letzten Bindungen an die Vorrevolutionszeit zu lösen und die festgefügten Vorstellungen über die Zeit nach der Revolution aufzugeben. Jetzt gibt es keine Hypotheken mehr auf das Alte, es gibt keine Zinsen und kein Guthaben. Nur der Künstler ist radikal genug, um den rettenden Weg zu erkennen. Deshalb wird er gebraucht.

 

Vom Drehbuch zum Film für das Ohr

Alexis Krügers Fassung des "PleiteJAZZ" ist so eingerichtet, dass die Hörer am Spaß und dem tollen Chaos der Revolution Teil haben können, und dem (im Original nicht immer ganz luziden) Plot leicht folgen. Dafür wurden die Bilder des Drehbuchs je nach Notwendigkeit neu geordnet oder zusammengefasst. Es entstanden auch neue Szenen, die zum Verständnis des Plots beitragens.

Die Musik spielt in Krügers Bearbeitung eine besondere Rolle, indem sie aufzeigt, wie die Revolution voranschreitet. Wir hören das Entstehen der Revolutionären Kraft "Jazz" mit Musik aus gesprochenen Worten und Saxofonphrasen. Wir hören, wie der Jazz zuerst die Menschen und dann die Institutionen in sich aufnimmt und wie er, Schritt für Schritt, Europa einnimmt. Dann zerbricht er. Wer am Ende siegt, die Pleite, dargestellt durch die Stille, oder der Jazz, dargestellt durch die Musik, bekommt der Hörer nicht nur durch Worte erzählt.